Backstage: Ein Blick hinter die Kulissen des mBook GL - Leichte Sprache

Wie kommen eigentlich die Übersetzungen im mBook Gemeinsames Lernen zustande? Um Texte in Leichte Sprache zu übertragen, müssen einige Regeln beachtet werden. Unser Mitarbeiter Christoph erklärt im Interview, welche das sind und was er bei seiner Arbeit noch beachten muss.

1. Was ist Leichte Sprache? Gibt es dafür Regeln?

Leichte Sprache soll möglichst vielen Menschen die Chance geben, einen Text inhaltlich zu verstehen, indem sie ihn leichter verständlich macht. Deshalb ist sie für mich vor allem ein Mittel, um Teilhabe zu ermöglichen. Denn nur, wenn man verstanden hat, worüber geredet wird, kann man sich auch an der Diskussion darüber beteiligen.

Und ja, es gibt dafür Regeln, die man zum Beispiel in diesem Leitfaden nachlesen kann. Die betreffen beispielsweise das Vermeiden von Nebensätzen oder des Genitivs. Eine der wichtigsten inhaltlichen Regeln lautet: Ein Gedanke pro Satz. Zudem sollten wichtige Aussagen wiederholt werden.

2. Es gibt auch noch Einfache Sprache. Was sind die wichtigsten Unterschiede zur Leichten Sprache?

Die Abgrenzung erfolgt nicht immer so klar, aber generell kann man sagen, dass sowohl die Einfache Sprache als auch die Leichte Sprache versuchen, die Standardsprache leichter verständlich zu machen. Meiner Einschätzung nach ist die Einfache Sprache aber noch etwas anspruchsvoller als die Leichte Sprache. Denn anders als bei der Leichten Sprache gibt es keine klaren Richtlinien. Das sieht man schon allein daran, dass bei der Leichten Sprache viele Absätze (in der Regel nach jedem Satz) gemacht werden, die es bei der Einfachen Sprache so nicht gibt.      

Allerdings muss ich hier erwähnen, dass ich am IdL ab und zu vom Regelwerk der Leichten Sprache abweichen muss. Eine Regel lautet zum Beispiel: ‘Vermeiden Sie alte Jahres-Zahlen.’ Das kann man in einem mBook für Geschichte natürlich nicht durchhalten.

3. Wie bist du darauf gekommen, dich überhaupt mit Leichter Sprache zu befassen? Und wie bist du zu deiner Tätigkeit gekommen?

Wenn ich mich richtig erinnere, hatten wir dazu mal einen Workshop am IdL und dann die Aufgabe, ein paar Absätze in Leichte Sprache zu übersetzen. Das empfand ich als eine Herausforderung, die mir Spaß gemacht hat. Und so bin ich dann irgendwie dabei geblieben.

Dabei hat mir sicherlich geholfen, dass ich an der Uni mit Schwedisch eine Sprache auf Anfängerniveau unterrichte, die nicht meine Muttersprache ist. Insofern bin ich den Umgang mit relativ einfachen Sätzen gewohnt. Und als ich Schwedisch gelernt habe, habe ich unter anderem auch einen Roman in leichtem Schwedisch gelesen. Ich hatte somit von sprachlichen Vereinfachungen auch schon direkt profitiert.

Außerdem bin ich Fan der deutschen Sprache, wenn man das so sagen kann. An guten Wortspielen kann ich mich zum Beispiel lange erfreuen. Aber zu einer guten Sprachbeherrschung gehört eben nicht nur das Verwenden von möglichst komplexen Formulierungen, sondern auch eine klare Ausdrucksweise, finde ich. Und bei der Leichten Sprache geht es letztlich darum, Aussagen möglichst klar zu formulieren.

4. Was sind die wichtigsten Dinge, auf die du bei deiner Arbeit achten musst?

Die eben schon erwähnte Regel: ‘Ein Gedanke pro Satz’ ist gar nicht so einfach durchzuhalten. Die muss ich mir selber immer wieder ins Gedächtnis rufen, vor allem, wenn ich meine Erstübersetzungen ein zweites und drittes Mal bearbeite.

5. Welche besonderen Herausforderungen können bei der Übertragung in Leichte Sprache auftreten?

Gerade in einem Schulbuch lässt es sich nicht immer vermeiden, einen Fachbegriff auszusparen. Das ist an sich auch kein Problem, aber man braucht dann eben mehrere Sätze und somit relativ viel Platz für nur einen Begriff. Deshalb sollte die Auswahl, welche Begriffe bzw. welche ‘schweren Wörter’ man erklärt und welche nicht, wohlüberlegt sein.

6. Was gefällt dir besonders an deiner Arbeit?

Besonders gefällt mir, dass ich bei der Übertragung etwas anwenden kann, was ich (auch) durch mein geisteswissenschaftliches Studium gelernt habe: Nämlich Relevantes aus einem Text herauszufiltern. Und natürlich finde ich es super, dass ich Menschen dabei helfen kann, sich Wissen anzueignen.

7. Kann man sich die Fähigkeit, Texte in Leichter Sprache zu verfassen, systematisch aneignen? Oder ist das eher eine Frage von Talent und Übung?

Puh, schwierige Frage. Ich scheue mich immer etwas davor, das Talent von jemandem zu beurteilen, auch wenn ich glaube, dass man mehr oder weniger sprachtalentiert sein kann. In Bezug auf die Leichte Sprache würde ich sagen, dass man sich schon viel aneignen kann, eben weil es auch klare Orientierungshilfen gibt. Und Übung spielt sicherlich auch eine Rolle: Anfangs habe ich zum Beispiel intuitiv noch viel häufiger den Genitiv verwendet (und musste ihn dann später wieder streichen) als das mittlerweile der Fall ist.

8. Leichte Sprache wird nicht von jedem als angemessenes Mittel zur Inklusion angesehen. So wird zum Beispiel kritisiert, sie verfestige die Exklusion statt sie aufzuheben, da sie eben eine “eigene Sprache” sei.

An dieser Behauptung habe ich Folgendes auszusetzen: Es scheint mir, dass dabei eine Unterstellung vorgenommen wird, die ich so pauschal nicht gelten lassen würde. Denn unterstellt wird ja, dass es zwei fixe Sprachsysteme – die vermeintliche ‘Normalsprache’ und die Leichte Sprache – gäbe, zwischen denen man nicht wechseln könne. Eine ‘Normalsprache’ ist eben genau das nicht, also eben nicht ‘normal’ im Sinne von ‘die Lebensrealität aller wiedergebend’. Außerdem unterstellt die Kritik den Nutzer*innen von Leichter Sprache, dass sie in diesem System gefangen blieben und es nicht schaffen könnten, den entsprechenden Text auch in der Originalversion zu lesen. Genau das stimmt meiner Ansicht nach aber nicht. Leichte Sprache kann meiner Ansicht nach eine Hilfestellung dabei sein, sich an den Text im Original heranzuwagen; nach dem Motto: ‘Jetzt weiß ich schon was drin steht - jetzt schaue ich mir auch mal die etwas schwierigere Sprache an.’ Dabei können sicherlich auch motivierende Lehrkräfte hilfreich sein. Und technisch gut gemachte Unterstützungen, etwa beim Lesen im Internet oder per App, können gute Übergänge zwischen unterschiedlichen Versionen eines Textes anbieten. Im mBook braucht es für den Wechsel ja sogar nur einen Klick.

Und selbst wenn es im Einzelfall nicht dazu kommen sollte, verstehe ich nicht, warum es so schlimm ist, dass die zentralen Inhalte eben via Übersetzung transportiert werden können. Wenn mich der Inhalt eines Buches interessiert, dessen Originalsprache ich nicht verstehe, bin ich doch auch froh über eine Übersetzung.

9. Stichwort ‘Übersetzung’: Als weiterer Kritikpunkt wird oft die interpretative Übersetzung genannt. Ein Text in Leichter Sprache sei keine ‘neutrale’ Übertragung des Originals, sondern eine selektive Übersetzung voller normativer Deutungen der Autorin oder des Autors. Ist diese Kritik berechtigt? Und wenn ja, bedeutet das, dass man auf Leichte Sprache besser doch verzichten sollte?

Diesen Kritikpunkt halte ich in der Tat für berechtigt. Selbstverständlich kommt es bei Übersetzungen zu Auslegungen und Selektionen. Auch wenn ich einen englischen Text ins Deutsche übertrage, wird dies so sein – ob ich mir dessen bewusst bin oder nicht. In der offiziellen deutschen Übersetzung der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wurde zum Beispiel das englische Original “all members of the human family” zu “allen Mitgliedern der Gemeinschaft der Menschen”. “Family” und “Gemeinschaft” sind aber nicht unbedingt dasselbe und können auch normativ unterschiedlich aufgefasst werden. Ich will damit sagen, dass dieses ‘Übersetzungsproblem’ immer besteht. Und so gesehen halte ich eine ‘neutrale Übersetzung’ für eine Illusion. Allerdings fällt die Veränderung des Originals bei der Leichten Sprache wohl durch das Auslassen von Textpassagen und ‘nebensächlichen’ Informationen deutlich stärker ins Gewicht. Aber auch das ist für mich kein Grund, auf die Leichte Sprache zu verzichten. Denn ich finde es auch dann immer noch besser, eine Möglichkeit zum Verstehen der wichtigsten Inhalte zu haben, als diese Option nicht zu haben. Den Nutzer*innen der Leichten Sprache sollte aber durchaus vermittelt werden, dass Übersetzungen immer Interpretationen des Originaltextes sind.

10. Was kannst du Menschen mit auf den Weg geben, die mit Leichter Sprache arbeiten und Inklusion unterstützen – also zum Beispiel den Lehrkräften, die das mBook GL nutzen?

Man sollte vermeiden, dass eine Stigmatisierung entsteht. Die Nutzung Leichter Sprache ist nichts Schlimmes oder Erniedrigendes, wodurch Nutzer*innen schlechter sind oder werden. Leichte Sprache ist nur ein anderer – aber deshalb nicht schon ein schlechterer – Weg, um ans Ziel zu kommen, also zum Beispiel um bestimmte Inhalte zu lernen. Ansonsten möchte ich gerade den Leuten aus der Praxis natürlich keine starren Ratschläge zum Umgang mit Leichter Sprache geben. Die Lehrkräfte kennen die Einzelfälle besser und können daher auch sehr gut beurteilen, in welchem Umfang die Nutzung von Leichter Sprache angemessen und hilfreich sein kann. Leichte Sprache richtet sich zwar generell an eine bestimmte Zielgruppe, aber diese Gruppe besteht ja nicht aus konformen Einheiten, sondern aus Individuen mit je eigenen Stärken und Schwächen beim Erfassen von Inhalten.