Eine von der Aktion Mensch und der Wochenzeitung DIE ZEIT gemeinsam mit dem infas Institut für angewandte Sozialwissenschaften veröffentlichte Studie hat die Einstellung der Bevölkerung in Bezug auf schulische Inklusion untersucht. Für die Studie wurden im Februar 2019 rund 1.500 Personen befragt, darunter ein hoher Anteil an Eltern, von denen wiederum ein knappes Drittel bereits Erfahrungen mit inklusivem Unterricht gemacht hatte.Die Ergebnisse zeigen, dass der Inklusionsgedanke in unserer Gesellschaft mittlerweile auf große Zustimmung trifft, die Umsetzung schulischer Inklusion wird aber oft noch als unbefriedigend wahrgenommen. Dass Kinder mit und ohne Beeinträchtigung in ihrer Freizeit die Möglichkeit haben sollten, gemeinsam aufzuwachsen, hält eine überwiegende Mehrheit von 94 Prozent der Bevölkerung für richtig. Skeptischer wird die gemeinsame Beschulung beurteilt: Dass die Kinder auch zusammen unterrichtet werden sollten, befürworten im Schnitt 66 Prozent. Unter den Eltern ohne Inklusionserfahrung liegt der Zustimmungswert bei 61 Prozent. Eltern, die bereits Erfahrungen mit schulischer Inklusion gemacht haben, bewerten diese offenbar größtenteils positiv. Von ihnen befürworten 78 Prozent den gemeinsamen Unterricht.
Insgesamt 68 Prozent der Befragten gaben an, es gäbe an den Schulen nicht genügend Lehrerinnen und Lehrer für die Gestaltung des inklusiven Unterrichts. Unter den Eltern mit Inklusionserfahrung teilten sogar 82 Prozent diese Ansicht. Nur 21 Prozent der Gesamtbevölkerung waren der Auffassung, die Lehrerinnen und Lehrer könnten die Herausforderungen des Unterrichts an Inklusionsschulen gut bewältigen. Unter den Eltern mit Inklusionserfahrung war der Anteil mit 23 Prozent kaum höher. Unter den befragten Eltern konnte auch die Leistungsförderung im Rahmen der schulischen Inklusion viele noch nicht überzeugen. Dabei fällt auf, dass Eltern mit Inklusionserfahrung die Leistungsförderung teilweise noch kritischer sehen als Eltern ohne Inklusionserfahrung. Knapp die Hälfte (47 Prozent) der Eltern ohne Inklusionserfahrung befürchtet beispielsweise, dass ein inklusives Schulsystem besonders leistungsstarke Kinder im Lernen des Unterrichtsstoffes bremsen könnte. Von den Eltern mit Inklusionserfahrung meinen sogar 55 Prozent, dass dies der Fall ist. Und während unter den Eltern ohne Inklusionserfahrungen 64 Prozent denken, dass ein inklusives Schulsystem die Chancen auf einen Bildungsabschluss für weniger leistungsstarke Kinder erhöht, vertritt weniger als die Hälfte (48 Prozent) der Eltern mit Inklusionserfahrung noch diese Ansicht.
Sehr positiv schätzt die Gesellschaft der Studie zufolge die sozialen Auswirkungen eines inklusiven Schulsystems ein. Die Mehrheit der Befragten vertrat die Auffassung, dass ein inklusives Schulsystem zu mehr Toleranz und einem besseren Miteinander führe (78 und 76 Prozent), sich positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern auswirke und die Bereitschaft erhöhe, sich sozial zu engagieren (je 76 Prozent). Zehn Jahre nach Unterzeichnung der UN-Behindertenkonvention genießt die schulische Inklusion somit zwar breite Akzeptanz, von der Realisierung ihrer Ziele ist sie jedoch immer noch weit entfernt. Damit Schüler*innen in unseren Schulen Gemeinsamkeit leben und dazu erfolgreich lernen können, müssen die Möglichkeiten der Binnendifferenzierung voll ausgeschöpft werden: durch unterschiedliche Lernwege, Zielsetzungen und Gruppenbildungen, durch differenziertere Materialien, Zeit- und Raumplanungen, individuellere Unterstützungssysteme usf. Nicht zuletzt ist schlicht mehr Personal und/oder eine stärkere technische Unterstützung des Personals nötig.Die Kunst wird am Ende jedoch darin bestehen, ein neues Maß zwischen Differenzierung und Gleichbehandlung zu finden, das dem Inklusionsgedanken ebenso wie den individuellen Ansprüchen der Lernenden gerecht wird. Eine ausdrückliche Differenzierung bestand viele Jahre lang durch unterschiedliche Schulen für bestimmte Lernendengruppen. Diesen Status sollte die schulische Inklusion beenden. Wenn die Binnendifferenzierung schlussendlich dahin führt, dass Schüler*innen faktisch doch wieder in getrennten Gruppen und Räumlichkeiten unterrichtet werden, trägt sie ihren Namen zu Unrecht und wird ihr Ziel auch langfristig verfehlen.
Bildnachweis: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de
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