Blind ins Kino? "Greta" und "Starks" machen das Kino barriereärmer

Kino

Blind einen Film genießen? Zunächst erscheint dies widersprüchlich. Wieso sollte ein blinder oder stark sehbeeinträchtigter Mensch fernsehen oder sogar ins Kino gehen wollen? Wenn ich genauer darüber nachdenke, fällt mir auf, wie oft ich während des Fernsehens andere Dinge erledige – und dabei trotzdem dem Film folgen kann. Was Menschen ohne körperliche Einschränkungen bei diesem Medium manchmal vergessen, ist, dass Filme nicht nur aus visuellen Elementen bestehen – sondern erst mit Geräuschen, Musik und Dialogen komplett werden. Ich kann daher stricken und dennoch die Handlung des Films mitbekommen. Warum sollte der Kinobesuch also für blinde oder sehbeeinträchtigte Menschen sinnlos sein?

Wie beliebt das Medium Fernsehen für diese Zielgruppe ist, zeigt eine Studie der Aktion Mensch zur Mediennutzung von Menschen mit Behinderungen. 85% der befragten Sehbehinderten nutzen das Fernsehen mehrmals pro Woche. Noch beliebter ist das Medium für hörbeeinträchtigte Menschen: hier schauen 88% mehrmals pro Woche fern. Seh- und hörbeeinträchtigte Menschen nutzen dieses Medium, um sich zu informieren, unterhalten zu werden – und mitreden zu können. Die Studie ergab jedoch auch, dass hier nach wie vor Barrieren existieren. Beispielsweise in Form fehlender Audio-Deskriptionen oder schlecht verständlicher Film- und Nachrichteninhalte. 

Vision von Greta & Starks: 100% barrierefreies Kino

“Ich bin schon immer gerne und oft ins Kino gegangen, aber während der letzten Jahre hat sich mein ohnehin schon minimaler Sehrest doch um einiges reduziert. Sobald auf der Leinwand Funkstille herrschte und das Publikum gelacht oder sonst eine Gefühlsregung von sich gegeben hat, habe ich mich immer ein bisschen außen vor gefühlt. Freunde haben dann versucht, mir mehr oder weniger laut die Dinge zuzuflüstern, die ich nicht mitbekommen habe.” (Blogbeitrag vom 15. Januar 2015). So beschreibt Barbara Fickert die Kinobesuche in ihrem Blog Blindgängerin. Undenkbar, wenn man sich in jene Kinobesucherinnen und -besucher hineinversetzt, die sich schon durch das Rascheln der Popcorntüte gestört fühlen.

Um den Kinobesuch für sehbehinderte und hörbehinderte Menschen barriereärmer zu gestalten, hat Gründerin Seneit Debese gemeinsam mit ihrem Team zwei Apps entwickelt – Greta & Starks. Die App Greta richtet sich an das sehbehinderte Kinopublikum, indem hier Hörfilmfassungen für ausgewählte Kinofilme bereitgestellt werden. Die Nutzerinnen und Nutzer der App können sich diese vorab kostenlos herunterladen. Während des Films wird die gesamte Tonspur, versehen mit einer akustischen Bildbeschreibung, auf Kopfhörer übertragen. Dabei synchronisiert sich die App mit dem Film.

Kino

Auch für Hörgeschädigte bietet das Team eine wertvolle Unterstützung an - spezielle Untertitel für Hörgeschädigte, die sogenannten HoH-Untertitel. Diese betiteln neben gesprochenen Dialogen noch weitere akustische Elemente, beispielsweise Musik. Ursprünglich wurden die Untertitel nur über die App Starks bereitgestellt, mittlerweile wird diese Unterstützung auch durch Greta angeboten.

Apps, wie Greta und Starks, sind schnell und flächendeckend verfügbar. Dadurch eignet sich das Medium besonders gut für Inklusion. Außerdem sind Smartphones insbesondere für blinde Menschen ein sehr beliebtes Medium und Hilfsmittel.Für den barrierefreien Filmgenuss wurden zwischen 2013 und 2018 etwa 450 Filme in den entsprechenden Fassungen angeboten.

Von Mainstream bis Arthouse - alles mit dabei

Doch wie kommen die Hörfilmversionen oder HoH-Untertitel in die Filmdatenbank der App? Hier sind vor allem Produktionsgesellschaften, Kinofilmverleihe oder Fernsehanstalten gefragt, die zunächst eine akustische Bildbeschreibung und Untertitel produzieren. Anschließend beauftragen sie Greta & Starks, diese Fassungen in ihr Angebot aufzunehmen, um sie für ihre Nutzerinnen und Nutzer zugänglich zu machen. Die Auftraggeber wählen selbst aus, welche Filme in barrierefreien Fassungen angeboten werden sollen. Damit auch Arthouse-Filme, die von kleinen Filmteams und mit einem geringen Budget realisiert werden, mit dabei sind, wurde 2015 die gemeinnützige Organisation Kinoblindgänger gegründet. Sie finanzieren und produzieren HoH-Untertitel und Hörfilmfassungen für Arthouse-Filme, beispielsweise für den Film ‘Astrid’ oder ‘O beautiful night’. 

AR-Brille Starks soll die Anwendung für Hörgeschädigte vereinfachen

Aktuell arbeitet das Team von Greta & Starks gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Westsächsischen Hochschule Zwickau an einer AR-Brille, die speziell für Untertitel (App Starks) entwickelt wird. Dadurch wird der Kinobesuch für Hörgeschädigte noch komfortabler, da sie kein Smartphone mehr benötigen. Über ein Display-Modul blendet die Datenbrille die gewünschten Untertitel in das gewohnte Sichtfeld der Hörgeschädigten oder auch fremdsprachigen Kinobesucherinnen und -besucher ein. Die Datenbrille soll möglichst in jedem Kino verfügbar sein, kann aber auch für den privaten Gebrauch interessant werden, denn neben Untertiteln soll das Starks-AR-Headset auch mit weiteren Anwendungen und Apps funktionieren. Die Datenbrille wurde bereits 2017 auf der Berlinale vorgestellt und befindet sich aktuell in der letzten Prototyp-Phase. 

 

 

Bildquelle: © Andi Weiland, mit freundlicher Genehmigung von gesellschaftsbilder.de